Wie man sich bettet …
Vor Jahr und Tag / 4:
Speziell, Dr. Knup hier auf meinem Sofa sitzen zu sehen. Im Unternehmen war es sonst üblich, dass als externer Seminarleiter ich es war, der in seinem Büro auf der Teppichetage am kleinen runden Tischchen sass. Es war heute deutlich spürbar, dass sich der CEO von 1500 Mitarbeitenden mit dieser Situation erst anfreunden musste. Er betonte dann auch zu Beginn den inoffiziellen Grund dieses Gesprächs, suchte nach Entschuldigungen, warum es ihm bisher nicht möglich war, die von mir geleiteten Veranstaltungen in der Firma zu besuchen etc.
Anders als sonst, kam er heute in seinen Ausführungen einfach nicht auf den Punkt. Abseits von seinem vertrauten Umfeld wirkte er verunsichert und …
“Herr Knup, was kann ich für Sie tun”, unterbrach ich ihn nach einigen Minuten.
Er zögerte einem Moment, streckte mir plötzlich die Hand hin und forderte mein Stillschweigen! Kaum hatte ich eingeschlagen, begann er zu erzählen.
Er sprach von der Entfremdung innerhalb seiner Partnerschaft, dem immensen Druck in der Arbeit, der fehlenden Zeit für Kinder und Freunde …
Viele Menschen legen Wert darauf, individuell zu sein, sich von den anderen durch ihre Art des Lebens und der Arbeit zu unterscheiden. Ein Blick auf ihr Äusseres aber ist ein erster Hinweis, wie ähnlich sich diese Menschen in Wirklichkeit sind. Einheitliche Markenanzüge am Schnitt zu erkennen, glänzende Schuhe, eine auffallende Uhr und auf dem Parkplatz die deutsche Qualitätsarbeit auf vier Rädern. So erstaunte es mich wenig, dass sich die von ihm angedeuteten Themen kaum von denen meiner Klienten unterschieden.
Dann aber weicht Dr. Knup von seiner gewohnt bedachten Kommunikation ab.
Überraschend für mich, beginnt er seinen Vorgesetzten zu kritisieren: “Sehen Sie, mein Verwaltungsratspräsident (Aufsichtsratsvorsitzender) missachtet seit Wochen jegliche Form von Respekt gegenüber meinem Privatleben. So geschieht es öfters, dass er mich Samstagabend kontaktiert, Sonntag zu einem unvorbereiteten Meeting einberuft und auch sonst wenig Rücksicht auf meine Befindlichkeiten nimmt …”
Ich wusste, dass seit der Massnahme der Nationalbank den Euromindestkurs aufzuheben, das Unternehmen in Turbulenzen geraten war.
Ich fühlte mich etwas hilflos. Doch dann fasste ich mir ein Herz und kam auf den Punkt: “Herr Knup, darf ich fragen, was Sie im Jahr so verdienen?” (Für die meisten von uns Schweizern eine unangenehme, peinliche Frage) Er stutzte und antwortete darauf etwas zögerlich: “Dieses Jahr wird es keinen Bonus geben, also ca. CHF 280’000.” Natürlich packte ich meine Antwort in Watte, kreiste einige Male um den Kern, doch schliesslich antwortete ich ihm sinngemäss:
“Schauen Sie Herr Knup, wenn ich Ihr Vorgesetzter wäre, dann würde ich in dieser Situation ähnlich handeln. Für dieses Managergehalt gehören Sie nämlich mir. Sieben Tage die Woche.”
“Sehen Sie Herr Knup, so kann man es auch anschauen!” Meine Aussage war mit einem Augenzwinkern und absichtlich provokativ formuliert. Doch aus meiner Erfahrung entspricht diese Haltung durchaus der Realität. Die Anforderungen unserer Leistungsgesellschaft gerade auf dieser Hierarchiestufe sind härter als je zuvor und stehen dem medialen Trend der «Life Balance» diametral gegenüber. Wer nach oben will, muss ganz dabei sein, ohne Wenn und Aber!
Die Kunst von Herrn Knup besteht nun darin, Möglichkeiten zu schaffen, trotz hoher beruflicher Verantwortung die Familie in den Alltag zu integrieren. Zudem stärkt das richtige Priorisieren den Zugang zu den eigenen Ressourcen.
“Herr Dr. Knup, kann es nicht sein, dass dieser Tanz auf Messers Schneide vielleicht sogar die grössere Herausforderung darstellt als die Tätigkeit an sich?”
Er wirkte nachdenklich, wechselte das Thema und wenig später beendeten wir das Gespräch.
In Sitzungen wie diesen fallen mir manchmal Märchenbilder ein, wo in Paktgeschichten das kleine Teufelchen mit seinen Versprechungen lockt. Es verspricht, es umgarnt und verlockt. Dann überwiegt die Versuchung gegenüber den späteren Konsequenzen. Diese werden in der Folge verdrängt, abgelehnt oder auf unbestimmte Zeit verschoben. Wie uns aber das Ende jeder solchen Geschichten lehrt, kommt auch der vermeintliche Held nicht darum herum, dafür einen entsprechenden Preis zu bezahlen.
Vielleicht bestehen da unsichtbare Parallelen zwischen der Situation von Herrn Dr. Knup und meinen märchenhaften Bildern…