Rühr- oder Spiegelei?
Vor Jahr und Tag / 10:
Ich sitze in der Nähe eines üppig gefüllten Frühstücksbuffets in einem Seminar- und Ferienhotel im Berner Oberland. Lustlos blättere ich in der Regionalzeitung hin und her, meine Veranstaltung beginnt erst in einer halben Stunde. „Schmeckt es dir, Schatzilein“? Am Nebentisch haben nun auch die Eltern mit ihren gefüllten Tellern neben dem ca. 6-jährigen Jungen, der schon seit einigen Minuten etwas lustlos im Rührei herumstochert, Platz genommen. „Möchtest du doch lieber ein Spiegelei?“ „Lass ihn doch mal in Ruhe seinen Tell…“ – „Guten Appetit“, unterbrach sie ihn. Ihre Stimme klang kalt und der Unterton liess kaum Interpretationsspielraum. So ungefähr iss und schweig. „Wart, Mama holt dir doch noch ein Spiegelei.“ Es vergehen einige Minuten, ihre heissen Würstchen dampfen vor sich hin. „Hier, Schatzi, ich habe dir auch noch etwas Früchte mitgebracht, schau, ich schneide dir die Ananas in kleine Stückchen und wenn du willst, schäle ich dir auch den Apfel… und Saft, hast du noch genug?“ „Ja, danke“, antwortet der Junge gelangweilt und greift ohne aufzublicken zu seinem IPad. Geschickt streicht er über das Panel und schon läuft ein Film. Es vergeht einige Zeit, bis der Vater ihm die Kopfhörer reicht.
So, nun ist der Sohn raus aus der gemeinsamen Kommunikationsebene.
Neben belanglosen Feststellungen über die Terrassenstühle und die Uniform der Mitarbeitenden, bleibt es ruhig am Tisch. „Möchtest du noch etwas, ich gehe noch was holen.“ Ein erneuter mutiger Versuch des Mannes zu einer Verständigung. „Nein, passt schon, ich geh dann mit Philipp noch Müsli und Pudding holen.“
Er erhebt sich und schleicht in Richtung Buffet davon.
„Ist es spannend?”, die Mutter hat dem Jungen einen der Knöpfe aus dem Ohr genommen und sucht offensichtlich erneut Verbindung. „Ähh lass mich, es ist gerade spannend.“ Sie lächelt ihn an und streicht ihm übers Haar. Erst jetzt sehe ich, dass die Frau schwanger ist. Der Mann kommt zurück, setzt sich an den Tisch und isst sein Müsli.
Sind das nun die Männer von morgen, geht es mir durch den Kopf.
Meine „Déformation professionelle“ setzt ein. Gibt es nicht irgendwie ein Mittelmass zwischen dem Machojäger und dem Pantoffelhelden? Wie viele Geschichten haben sich mein Sofa und ich diesbezüglich schon angehört? „Wir haben uns durch die Kinder auseinandergelebt, nicht miteinander geredet, die Interessen zu verschieden…“ Viele der Argumente kenne ich und so braucht es keine hellseherischen Fähigkeiten um festzustellen, dass die Weichen auch in dieser Familie bereits heute in eine ähnliche Richtung gestellt werden.
Was wird wohl sein, wenn erst das zweite Kind da ist? Die Nächte unruhig, die Mutter vermehrt emotional an der Grenze und der Partner, wie soeben eindrücklich erlebt, ausgeschlossen bleibt? Kinder als die Krönung einer Beziehung oder zu reinem Selbstzweck zu gebären, ist heute ein schmaler Grat.
Dem vergangenen Motiv, Kinder zur Selbstversorgung im Alter zu zeugen entwachsen, gibt es heute ein neues Selbstverständnis von Eltern. Doch Kinder, als Verlängerung eigener Vorstellungsbilder und Wünsche geschaffen, überfordert letztlich beide Seiten.
Wenn der Partner der ursprünglichen Zweierbeziehung nicht an erster Stelle steht, wird die Ordnung der späteren Familie empfindlich gestört. Eines Tages sind die Kinder aus dem Haus, ein Elternteil (immer noch ist dies meist die Mutter) hat alles gegeben, sich geopfert und auf Vieles verzichtet. Der Mann allerdings hat sich längst „vom Mami“ entfernt, holt sich die Bestätigung in der Arbeit, die Zuwendung über die Karriere und was da noch so an Möglichkeiten mehr bestehen…
Das vorzeitliche Rollenbild hat natürlich ausgedient. Von einem neuen Rollenverständnis allerdings sind wir auch noch weit entfernt.
Ich erhebe mich, wünsche der Familie einen schönen Tag, und gehe in mein Seminar. Nein, das mit dem schönen Tag war nicht zynisch gemeint…
Wann machen SIE das nächste Mal mit Ihrer Familie Urlaub?
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Ab 30. November bis 24. Dezember täglich:
Der be-sinnliche Weihnachtsblog