So ein Quatsch!
Vor Jahr und Tag / 14:
Kennen Sie das auch? Sie sind eingeladen, ein runder Geburtstag, Ihnen sind ausser dem Jubilar höchstens noch zwei drei andere Menschen im Raum bekannt. Und auf einmal sitzen Sie dann da, eingepfercht zwischen zwei fremden Personen deren einzige Verbindung die Bekanntschaft zum Geburtstagskind ist.
Heinz zu meiner Linken mit Vollbart und Hirtenhemd, in erster Linie von der Auswahl des Buffets fasziniert und hauptsächlich mit Essen beschäftigt, stört sich wenig an der fremden Umgebung. Mit Livio rechts von mir sitzend allerdings, habe ich punkto Kommunikation den Haupttreffer des Abends gezogen. Selbst während der zahlreichen Ansprachen weist er seine Frau zurecht, kommentiert den Wein und tippt andauernd an seinem Handy herum.
Dann, vor dem Hauptgang, die Rede von Hedwig, sie ist die Mutter vom 60-jährigen Gerold.
Sie spricht mit zittriger Stimme von einigen Ereignissen aus dem gemeinsamen Leben. „…und die Herausforderungen, ja sie haben uns stark gemacht und mein Mann selig und ich haben uns stets bemüht, gerade daraus zu lernen und diese nicht auch noch unseren Kindern weiterzugeben.“ Mit diesen Worten faltet die ältere Dame ihr Blatt und setzt sich unter dem warmen Applaus der Gäste wieder hin.
„Hä, was meinte sie mit diesem Satz?“
Mit dieser Frage dreht sich Livio zu mir. Es ist gerade der Moment wo ich unachtsam bin, denn ich überlege kurz, ihm eine plausibel fundierte Antwort zu geben. Grober Fehler. Ich sitze in der Falle und die Diskussion beginnt. „Die ungelösten Themen der Eltern sollen auf die Kinder übertragen werden? Was ist das denn für ein Quatsch. Wir sind doch alle genetisch komplett eigenständig, so ein Psychosch…“ Seine Frau gegenüber mischt sich ein. „Liv, bitte hör doch auf und sei leiser“, doch er hat sich festgebissen. Irgendeinmal wage ich seiner autonomen Gentheorie zu widersprechen. So gebe ich als Beispiel zu bedenken, dass wenn beispielsweise Menschen derselben Hautfarbe ein Kind kriegen, dieses doch auch nicht einfach eine ganz andere Hautfarbe habe. „Das ist Kultur und Umfeld, das ist nicht dasselbe, nicht zu vergleichen“, zischt er.
Es waren qualvolle Stunden.
Je mehr es gegen Mitternacht ging, desto redseliger wurde Livio. Er erzählte seine intimsten Lebensgeschichten. Irgendwo fiel der Satz:
„Ja und dann haben mich meine Eltern rausgeschmissen, fünf Jahre hatte ich mit meinem Vater keinen Kontakt, nur weil ich mich entschieden habe, Monteur zu werden…“
____________
Ich versuchte soweit es meine Konzentration zuliess, den Erzählungen zu folgen. Wenig später erhob sich Livio. „Ich muss mal für kleine Jungs“, liess er seine Frau und mich wissen. Als er weg war, erlaubte ich mir, seine Frau zu fragen, ob sie denn Kinder hätten. Lilo nickte. „Ja, zwei: Renate und Livio junior. Renate macht sich ganz gut, studiert Medizin, aber der Junge…ist von der Schule geflogen und nun muss er selber schauen, wie er sein Leben meistert. Mein Mann hat den Kontakt zu ihm schon vor mehr als einem Jahr abgebrochen.“
Ich nickte und versuchte dabei empathisch zu wirken, doch die Aussage gab mir einen Stich ins Herz. Wer nicht lesen kann, dem nützen auch die dicksten Bücher nichts. Die alte Volksweisheit kam mir in den Sinn. Schade, schade und ich wusste, wo nicht gefragt wird, ist eine Antwort nicht erwünscht…
…Sie und ich, wir wissen es, der nächste runde Geburtstag kommt bestimmt!
Lieber Markus: Das ist ja unglaublich.
Wir kennen dieselben Leute. Heinz mit Vollbart und Hirtenhemd sass zwar nicht neben mir bei der Geburtstagsparty vor ein paar Wochen, sondern direkt gegenüber. Dafür sass ich neben Ella. Die mit dem unglaublich tiefen Décolleté und dem Parfum, welches Schnappatmung auslöst. Eine besondes schwer geratene Ausgabe von Estée Lauder’s White Linen. Erinnerte mich sofort an eine meine besonders teuren Scheidungen. Du ahnst warum.
Wie auch immer: Ella erklärte mir pausenlos – ich war auch in die von dir beschriebenen Falle getappt – wie unfair das Leben mit ihr umspringt und Heinz machte mir und allen am Tisch klar, dass unsere Bundesräte alles Pfeifen sind. Oh mein Gott. – Gegen Mitternacht versprach ich dann dem Gastgeber beim nächsten runden Geburtstag wieder dabei zu sein…
Ich versprach ihm, dich mitzubringen. Hoffe das geht ok.