Von der Selbstverständlichkeit des Alltags
Die Bilder gehen Paradoxli nicht mehr aus den Augen.
Die junge Frau, die blaue Tasche vorne im Körbchen, die Ampel auf Rot. Dann biegt der Sattelschlepper in die Strasse ein. Sekunden später spuckt die Hinterachse die Reste des Fahrrads wie eine zerquetschte Zündholzschachtel zurück auf die Strasse. Ein kurzer Moment der Unachtsamkeit und das ganze restliche Leben kann sich von einem Augenblick auf den anderen verändern. Paradoxli, auf der Gegenfahrbahn unterwegs, zuckt zusammen, lenkt seinen Wagen einem Reflex folgend auf den Gehsteig. Menschen springen herbei, Schreie sind zu hören, Panik zu spüren. Er will anrufen, sieht aber rasch, dass dies bereits geschieht. Woran die Gesellschaft durch ein Virus lediglich schnuppert, für das Umfeld dieses Menschen ist es zur Realität geworden, wird ihm in diesem Moment klar.
Der Abschied von der Gewohnheit. Er stellt den Motor ab und wischt sich eine Träne aus dem Auge. «Ich muss mich selbst bei der Nase nehmen. Wie privilegiert mich das Leben in den letzten Jahren doch behandelt hat», reflektiert er. Erinnerungen steigen in ihm hoch, Stationen und Bilder aus seiner Vergangenheit, wo Dinge nicht so liefen, wie er sie sich vorgestellt hatte. «Etwas beschämend», muss er sich eingestehen. Da ist der Postbote, über den er sich fürchterlich aufregt, da dieser wiederholt die Pakete unten bei den Briefkästen deponiert. Die kurzfristige Annullation seines Ausflugs durch die Reiseveranstalter, die dilettantische Kommunikation seiner Firma bezüglich der neuen Ferienregelung etc.
Er hält inne. Die letzten drei Monate und dieser Unfall, der sich direkt vor seinen Augen abgespielt hat. Da ist etwas, das ihn nicht loslässt.
Wenig später auf seiner Terrasse. Es ist paradox, denkt er sich. Die Gewohnheit lullt unser Leben in eine Selbstverständlichkeit ein, lässt uns glauben, dass wir ein Recht darauf haben, die eigenen Vorstellungen und Erwartungen zu leben. Was, wenn es uns jederzeit bewusst wäre, dass alles was uns lieb und teuer ist, von einer Sekunde auf die andere verschwinden kann? Ist es nicht so, dass alles nur geliehen ist? Warum tragen wir nicht mehr Sorge zu alledem?
Er sinniert, bestaunt den Sonnenuntergang in seinem Sessel und auf einmal wird es ihm klar. «Ich werde achtsamer durchs Leben gehen, es bewusster wahrnehmen, dem Umfeld wertschätzender begegnen und die kleinen Probleme des Alltags den anderen überlassen». In Gedanken zählt er all jene Freunde auf, die, wie er findet, Respekt und Wertschätzung in die Welt tragen. Es sind nur einige wenige. Er überlegt kurz, dann lächelt er vor sich hin. «Diesen Menschen will ich künftig mehr begegnen, sie tun mir gut, denn ihnen allen ist etwas gemeinsam: Die Demut: Sie sind dankbar mit jenem zu leben das sie haben und haben aufgehört davon zu träumen, was sie alles wollen»!
Schon sucht er nach seinem Handy in der Hosentasche…
Salü Markus
Du schreibst er richtig: Wir sind meistens undankbar und schätzen das Leben wie wir es tagtäglich geniessen können nicht.
Wir regen uns auf wegen Kleinigkeiten und vergessen das Wichtige.
Gratulation zu diesem guten Text.
Gruss
Reto
Lieber Markus
danke für den berührenden Text – wie immer lese ich dein Blogs sehr gerne.
Gerade jetzt ist es wichtig, dass wir uns einerseits mit Menschen umgeben, die uns gut tun, Kaft schenken und uns inspirieren und andererseits Ausschau halten nach Menschen in unserem Umfeld, die unsere Unterstützung benötigen. Und dass wir dann auch für sie da sind.
liebe Grüsse
Daniela
Lieber Reto
Liebe Daniela
Ganz herzlichen Dank für die Blumen. Liebe Grüsse und bleibt gesund!