Paradoxlis Welt wird paradox
Paradoxli ist erschöpft und blickt in Richtung Kinderspielplatz. Dieser ist gerade leer. Über die Strasse geht er hinüber zu den Rutschen und Schaukeln. Er ist verwirrt. Als er den grossen Sandkasten sieht, setzt er sich kurzentschlossen an dessen Rand, stützt beide Hände auf die Holzumrandung und streckt seine Beine.
Er schüttelt den Kopf. Keine 20 Minuten ist es her, dass er den Stammtisch aus einem inneren undefinierten Drängen für alle Anwesenden überraschend rasch verlassen hat.
Da war Clemens, er erzählte von der schwierigen Sitzung, seinem Chef, der mit dem Massstab die Distanz im Sitzungszimmer abgemessen hatte. Peinlich darauf pochte, den Abstand zu wahren. “Dann,” erzählte Clemens weiter, “nachdem er uns den ganzen Morgen verrückt gemacht hat damit, lud er uns alle zum Kaffee ein. Alle fünfe an einen Tisch!” Alle lachten. Victor, soeben zurück aus Nizza, schilderte wie die Maskenpflicht an der Promenade mit Polizeigewalt durchgesetzt wurde. Dies sehr zur Freude der hundert Meter weiter badenden Touristen, welche ihrerseits davon entbunden waren. Eigentlich nahm sich Heinz vor, nicht mehr über das Thema zu debattieren. Als Arzt war er pausenlos mit den Ängsten von Patienten beschäftigt, dann aber plauderte er doch aus dem Nähkästchen. “Wisst ihr”, lächelte er schelmisch, “seit man die Zahl der Tests täglich fast um 40% erhöht hat, sprechen alle von der zweiten Welle. Aber…”, Clemens studierte kurz, bevor er weiterredete. “dann ist das ja eigentlich logisch…” das Gelächter der anderen unterbrach seine Folgerung.
Was ist denn da überhaupt noch logisch, dachte sich Paradoxli, der Gedanke einer paradoxen Welt ging ihm von dem Moment an nicht mehr aus dem Kopf.
Nun sitzt er da, am liebsten würde er eine Sandburg bauen, Fähnchen hissen, wieder etwas mehr Kind sein. Er versteht die Welt nicht mehr, kann vor lauter Angst, als Leugner und Verschwörer gesehen zu werden, kaum mehr mit jemandem darüber reden. Slobodan wäre eine Möglichkeit, denkt er sich. Er ist gestern aus einem eben dieser Länder zurückgekehrt. Nein, nicht mit dem Flugzeug, sein Name stand auf keiner Passagierliste, wurde nicht den Behörden gemeldet. Er kam mit dem Bus, oder dem PW, Paradoxli weiss es nicht genau. Inkonsequenz, Unprofessionalität im Umgang mit der Krise, wem kann man noch trauen. Gut, denkt er sich, dass ich keine Nachrichten mehr schaue.
Paradox: Wir wollen die Gesundheit der Menschen um jeden Preis in erster Linie hygienisch erhalten und merken nicht, wie die Gesellschaft dabei psychisch immer mehr Schaden nimmt… Oder ist irgendwo zu lesen, was der Einzelne dafür tun kann, sein eigenes Immunsystem zu stärken?
Er nimmt eine Handvoll Sand und lässt diesen durch die Finger rinnen. Ja, alles ist auf Sand gebaut, alles. Dann erhebt er sich, überlegt einen Moment, ob er den Umweg über die Wiese gehen soll oder dem Fussweg folgt. Er klopft mit der flachen Hand den Sand von seiner Hose und entscheidet sich für den Umweg…