Paradoxli und der Krieg der Medien
“Jetzt reicht’s!”
Paradoxli springt auf und schaltet den Fernseher aus. Es ist offensichtlich aber auch verständlich, dass sich, nach all den Wochen in der Wohnung eingesperrt, die Toleranzgrenze nach unten bewegt. Immer wieder hat er sich vorgenommen, sich durch die Berichterstattungen nicht ärgern zu lassen, sie nach einem disziplinierten Zeitplan zu verfolgen. Doch die Neugier war immer stärker, die Angst Spektakuläres zu verpassen, grösser. Paradoxli liess sich in den letzten Tagen einschüchtern von den Militärlastwagen, welche die Leichen in die Krematorien fuhren, morgens, mittags und abends, immer und immer wieder dieselben Bilder. Meist direkt im Anschluss an die Tagesthemen, ähnlich dem Totomaten beim Fussball, die aktuellen Resultate fein säuberlich aufgelistet: Die Infizierten nach Ländern, die vermeintlich höhere Dunkelziffer, dann die bereits Verstorbenen, die Vergleichskurve mit dem prozentualen Anstieg vom Vortag etc.
Den hohen Anspruch nach Transparenz in der Kommunikation hat sich doch praktisch jeder Sender auf die Fahne geschrieben, redet er sich ein. Aushängeschilder dafür die zahlreichen Virologen, von denen einige sichtlich Gefallen daran finden, die Reagenzgläser mit dem Mikrofon einzutauschen. Von Sender zu Sender: Wer angesteckt und wieder geheilt ist… kann nicht mehr angesteckt werden… ist auf jeden Fall noch gefährdet… kann man heute noch nicht sagen… Maskenschutz ist unnütz… überlebenswichtig…
“Du musst ja nicht schauen, du Depp”, muss er sich selbstkritisch zugestehen. Aber eben. “Alle meinen es doch gut, alle haben ein Interesse daran, offen und ehrlich zu kommunizieren”, fand übrigens Frau Ledergerber beim gestrigen Balkongespräch. Paradoxli setzt sich an den Küchentisch und überlegt.
Hm, ist es nicht paradox, man sorgt sich weltweit um die Kranken. Aber geht es nicht in Tat und Wahrheit mehrheitlich um die Einschaltquoten, die Auflagen der Printmedien? Ist denn da keiner, der ein Machtwort spricht und dafür sorgt, dass dieses bewusste Schüren von Angst unterbunden wird? Haben die medizinischen Wahrsager im Studium gefehlt, wo der Zusammenhang von Widerstandsfähigkeit und Angst in der menschlichen Psyche aufgezeigt wurde?
Paradoxli weiss, wäre seine Frau nicht beim Einkaufen, sie würde sich über seine Äusserungen einmal mehr nerven. Und doch lässt es ihn nicht los. Wie viele Menschen sind in der Zwischenzeit nun wirklich geheilt? Wie viele Menschen ohne Vorerkrankungen tatsächlich am Virus gestorben? Wie hoch ist das Durchschnittsalter der Verstorbenen in Wahrheit? Sind Beatmungsgeräte nun eine Hilfe oder für Langzeitschäden verantwortlich?
Er ertappt sich, wie er seiner Neugier erneut Raum schafft. Er muss sich eingestehen, dass er kein Fachmann ist. Unverbesserlich schaltet er den Fernseher wieder ein. Trump beim Interview. Schon will er den Sender wechseln, da, der erste gescheite Satz vom Präsidenten, realisiert er, wo dieser sagt: “Wir müssen aufpassen, dass die Lösung des Problems nicht einen grösseren Schaden anrichtet als das Problem selbst…”