Digital unterwegs: Und auf einmal sind wir frei!
Während die Menschen links auf der Überholspur der Rolltreppe zu ihren Zugverbindungen hetzen, studiert Paradoxli aufmerksam die scheinbar vorbeiziehenden Plakate. Die Dame lächelt verheissungsvoll von der SBB Werbung. „Das Billett kaufe ich schneller als andere das Münz finden.“ Dann da, ein Traumstrand. „Mit drei Klicks sind Sie dabei, heute noch buchen.“ Rrrrratsch, dann wandert das Bild auf der elektronischen Leinwand weiter. Nun die Cola Werbung.
Paradoxli schaut sich um, selbst hier im Gedränge. Die einen am Handy, die anderen Stöpsel im Ohr. Jeder mit seiner eigenen Welt beschäftigt, geht ihm durch den Kopf. Oh, schade, die verpassen ja die ganze Werbung, das digitale Bilderweltangebot zieht einfach an ihnen vorbei. Der Gedanke entlockt ihm ein Schmunzeln.
Oben angekommen, zwängt er sich durch die Menge. Ja, tatsächlich, es geht wirklich alles etwas schneller, stellt er fest. Doch was machen die Menschen mit all der Zeit, die sie digital einsparen? Der Hektik nach zu schliessen wohl nicht langsamer gehen. Paradoxli kommt an der Ecke mit dem Fast Food Laden vorbei. Da, wo ihn vor zwei Wochen eine aufgeregte Dame darum gebeten hat, in seinem Telefon eine Nummer ausfindig zu machen. Er bleibt kurz stehen. Ja, die Dame hatte ihr Handy im Zug liegenlassen und war völlig verloren, erinnert er sich. Sie hatte die Nummer ihres benötigten Kontakts nicht im Kopf, fand keine Telefonzelle und war äusserst dankbar, dass er ihr die Gelegenheit bot, den Bekannten anzurufen.
„Sie glauben ja gar nicht, wie verloren man ist“, bedankte sie sich damals beim Abschied, als sie die Zielperson mit seiner Hilfe doch noch erreicht hatte. „Ist das nun auch Digitalisierung oder einfach nur technischer Fortschritt?“ überlegt Paradoxli.
Hm, eigentlich ist ja scheinbar alles, was nicht mehr Papier ist, die neue Welt. Clouds, PC, Stick… So jedenfalls erklärte es ihm Conny, seine Nachbarin. Sie schwört auf die technischen Errungenschaften. Sie lässt sich Salat, Fleisch, Schminke und Kleider bequem nach Hause liefern und ist stets dankbar, wenn sie spät abends die im Flur stehenden Pakete einsammelt.
Nein, heute doch kein Burger, denkt sich Paradoxli und läuft in Richtung Tramstation davon. Da, wieder ein Plakat. „Geniessen Sie die neue Freiheit“, strahlt eine Gruppe Menschen vor einem gläsernen Gebäude in lässiger Pose und präsentiert Handy, Laptop und Ipad zum einmaligen Monatsangebot… Er bleibt wieder stehen, wird beinahe umgerempelt von der Masse. Hoppla. Er macht zwei Schritte an die rettende Mauer und blickt noch einmal auf die Werbung.
Ist es nicht paradox, denkt er sich und schüttelt den Kopf. Freiheit wird hier angepriesen? Ist nicht das Gegenteil davon die Abhängigkeit? Wie nie zuvor in der Geschichte der Menschheit sind wir unfrei. Was für ein fehlgeleiteter Gedankengang, reflektiert er. Paradoxli greift in seine Tasche. Kontrollgriff. Handy und Geldbeutel sind noch da. Gott sei Dank. Die Chance, ohne nennenswerte Zwischenfälle nach Hause zu kommen, ist intakt.
Die angepriesene, “neue Freiheit” ist in seinem Mantel sicher aufgehoben…
Gut beobachtet und schön beschrieben, Merci!
… und was ist mit dem Schlüssel zu den eigenen 4 Wänden – ist der ins Handy programmiert?
😉
Danke Dir für den Kommentar. Hausschlüssel, vielleicht hat er diesen Kontrollgriff vergessen oder lag der unter der Matte vor der Haustüre? Lassen wir das sein Geheimnis sein
Liebe Grüsse
Markus